Woran erkennst du Kompatibilität bei Menschen?
- Daniel Köpke
- 23. Mai
- 16 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Aug.
Hallo und herzlich willkommen zu Beziehungs-Mindset. Deiner Podcast-Inspiration für gute Beziehungen, Kommunikation, persönliche Entwicklung und wie noch mehr Lebensglück aus deinen Beziehungen ziehst. Mein Name ist Dr. Daniel Köpke und in jeder Podcast-Folge stelle dich dir hier ja einen neuen, kleinen Aspekt davon vor, wie man gute Beziehungen führt. Also nicht nur wie du Konflikte vermeidest und die Beziehung möglichst lange aufrechterhältst, sondern wie du die Beziehung so gestaltest, dass beide Partner noch mehr von der Beziehung profitieren können.
Um gute Beziehungen zu führen kannst du ja viel tun. Du kannst an dir und deiner Persönlichkeit arbeiten, du kannst an deiner Kommunikation, deiner Empathie, deinem Selbstwert, deinen Emotionen arbeiten. Aber vielfach ist eine gute Beziehung ja vielleicht auch einfach eine Frage der Kompatibilität. Also eine Frage dessen: Wie gut passen du und der andere zusammen. Und diese Frage ist für mich die zentrale Frage, die es im Dating herauszufinden und zu beantworten gilt: Passen du und eigentlich ich zusammen? Darum, also um Kompatibilität soll es in dieser – und wahrscheinlich auch noch in der nächsten Folge gehen. Viel Spaß damit.
Gibt es für jeden Topf einen passenden Deckel?
Lass uns mal anfangen mit einem meiner Meinung nach – ja doch recht weit verbreiteten Missverständnis über Kompatibilität in Beziehungen, mit dem ich gern aufräumen würde. Nämlich dem, dass Kompatibilität unter allen Menschen gleich verteilt ist. Dass es also für jeden Menschen gleich viele oder wenige andere Menschen gibt, die zu ihnen kompatibel sind – und dass da einige Menschen einfach nur mehr Glück hatten, einen passenden Partner zu finden. Ich glaube, das stimmt nicht.
Vielleicht kennst du auch das Sprichwort „für jeden Topf gibt es einen passenden Deckel“. Und das mag ja auch sein. Ich glaube aber, es gibt so etwas wie Universal-Töpfe, auf die sehr viele Deckel passen und es gibt Woks. Also Menschen, die eigentlich mit so ziemlich jedem klarkommen und hochkompatibel sind und andere, die mit so ziemlich jedem anecken und die wirklich große Schwierigkeiten haben, Anschluss zu finden, einen Partner zu finden, Freundschaften zu knüpfen und so weiter. Aber was macht eigentlich den Unterschied aus?
Was sagt die Wissenschaft über Kompatibilität?
In der psychologischen Fachliteratur ist das eine Frage, die in ziemlich vielen Studien eine Rolle spielt und die ziemlich gut untersucht ist: Welche Charaktereigenschaften muss ein Mensch haben um möglichst gute und möglichst langanhaltende Beziehungen zu führen? Ich verlinke dir ein paar diese Studien in den Shownotes.
Dabei sind es vor allem 2 Personlichkeitsmerkmale, die eine hohe Wahrscheinlichkeit für gute und langfristig stabile Beziehungen voraussagen.
Verträglichkeit
Das eine Merkmal ist Verträglichkeit. Verträgliche Menschen sind in der Regel empathischer, koorperationsbereiter, altruistischer als andere und tendieren dazu, Konflikte eher zu vermeiden. Ich finde das Englische Wort für Verträglichkeit bringt es eigentlich auf den Punkt: Im Englischen spricht man von „Agreeability“. Also wörtlich übersetzt: Die Fähigkeit zuzustimmen.
Wenn du verträglichen Menschen eine Geschichte aus deinem Leben erzählst, ist ihr erster Impuls die Suche nach Gemeinsamkeiten, nach Übereinstimmung, nach Bestätigung. Und nachdem die meisten Menschen Zustimmung deutlich angenehmer finden als Widerspruch, haben es verträgliche Menschen oft viel leichter, Anschluss zu finden, gemocht zu werden und führen generell Beziehungen mit mehr Harmonie, weniger Konflikten und mehr Beziehungssicherheit.
Ein bisschen überspitzt könntest du extrem verträgliche Menschen als „Ja-Sager“ oder „Diplomaten“ bezeichnen. Menschen, die die Bedürfnisse von anderen Menschen oft wichtiger nehmen als die eigenen. Und auch wenn das nicht in jeder Situation im Leben immer nur Vorteile bringt, für die Qualität und Langlebigkeit von Beziehungen ist das eine sehr wertvolle Eigenschaft. Zumindest wenn man der Literatur glauben will.
Neurotizismus
Das andere Persönlichkeitsmerkmal ist der Neurotizismus, für den man oft einen umgekehrten Zusammenhang für die Qualität und Langlebigkeit von Beziehungen findet. Sprich: Je neurotischer Menschen sind, desto geringer wird die Beziehungsqualität subjektiv von beiden Partnern oft empfunden und desto schlechter stehen statistisch die Chancen, dass Beziehungen lange bestehen bleiben. Neurotische Menschen sind sehr emotional sehr viel labiler, ängstlicher, reizbarer und anfälliger für emotionalen Stress.
Manchmal wird Neurotizismus auch beschrieben als die Umkehrung von emotionaler Stabilität. Das heißt, je emotional stabiler ein Mensch ist, desto weniger neurotisch er und – der Literatur zufolge – umso besser ist seine Chance, eine langfristige und glückliche Beziehung zu führen.
Eine stressige, belastende Situation wie ein Konflikt, ein Problem, eine Situation in der er scheitert und dergleichen – wird bei einen emotional stabilen Menschen sehr viel weniger negative Emotionen auslösen, die dann außerdem noch sehr kürzer andauern als bei emotional weniger stabilen Menschen. Er erlebt ein und dieselbe Situation oft als weniger bedrohlich, gefährlich, schlimm.
Emotional stabile Menschen dagegen sind überspritzt gesagt die „Felsen in der Brandung“ oder die „Buddha-Typen“ unter den Menschen. Und nachdem die meisten Menschen es sehr viel angenehmer finden, Zeit mit Menschen zu verbringen, die gut drauf sind als mit Menschen die ängstlich, gestresst oder traurig sind, haben es Menschen emotional stabile Menschen generell leichter, einen passenden Partner zu finden.
Kann man das ändern?
Verträglichkeit und Neurotizismus gehören zu den „Big Five“ – sie sind 2 der 5 Dimensionen einer Persönlichkeit, die in der psychologischen Fachliteratur als die über das Leben gesehen stabilsten Persönlichkeitsmerkmale gelten – deswegen nimmt man sie auch so gerne für psychologischen Studien. Was bringt es dir also zu wissen, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mehr Chancen auf eine gute und langfristige Beziehung haben, wenn du die gar nicht ändern kannst?
Naja, ich glaube eben nicht, dass man an diesen Persönlichkeitsmerkmalen nichts ändern kann. Es ist nur wesentlich schwieriger und langwieriger, daran etwas zu verändern. Dafür halte ich den potentiellen Effekt, den so eine Veränderung auf deinen Beziehungsalltag haben würde für wesentlich erfolgsversprechender als einen Kommunikationskurs in gewaltfreier Kommunikation oder ein neues Profilbild bei Tinder. Und der beste Weg, den ich dafür kenne, an derart tiefgreifenden Persönlichkeitsmerkmalen langfristig und dauerhaft zu ändern sind Vorbilder und Mentoren.
Such dir geeignete Vorbilder
Für jemanden, der feststellt, dass was Verträglichkeit oder Emotionaler Stabilität angeht echt noch ein bisschen Luft nach oben ist, und wenn du dich mit diesem Podcast und allgemein mit dem Thema Beziehungen auseinandersetzt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass das auch bei dir so sein könnte.
Dann glaube ich, dass du gut daran tust, dich mit besonders verträglichen oder besonders emotional stabilen Menschen zu beschäftigen. Zeit mit ihnen zu verbringen, zu beobachten – wie gehen sie in Gespräche, wie kommunizieren sie, wie gehen sie mit Konflikten um.
Was Verträglichkeit angeht, muss ich nämlich sagen, dass ich in dieser Hinsicht nicht gerade ein Naturtalent bin. Gerade wenn ich an meine jüngeren Jahre zurückdenke, war ich eigentlich immer schon jemand, der – egal um was es ging – eigentlich immer dagegen war. Einfach aus Prinzip. So ein richtiger Gegenbeispielsortierer. Ich hab immer schon Dinge infrage gestellt, hab nach Ausnahmen gesucht, Kritikpunkte und Limitationen versucht zu formulieren, versucht herauszufinden: Wo ist der Haken?
Und ja, das ist eine Eigenart, die mich sehr schnell hat lernen lassen, die mir auch sehr in meiner beruflichen, wissenschaftlichen Karriere geholfen hat. Ganz ehrlich: Als hochverträglicher Mensch bist du einfach ungeeignet für jede Art von Wissenschaft und Forschung. Da geht es ja genau darum, Konzepte, Meinungen und Thesen zu hinterfragen, zu prüfen und eventuell auf den Kopf zu stellen. Es ist aber eben auch eine Eigenart, die mich immer ein bisschen getrennt hat von Menschen, die mich bei vielen Menschen ein bisschen unsympathisch gemacht hat und mit der ich mir in Beziehungen oft selbst im Weg gestanden habe.
Was ich von verträglichen Menschen gelernt habe
Was das angeht, hab ich aber sehr viel von sehr verträglichen Menschen gelernt. Fabi, mit der ich in Folge 5 ja eine Podcast-Folge aufgenommen habe, gehört für mich zu den verträglichsten Menschen, die ich überhaupt kenne. Fabi kommt mit wahnsinnig vielen Menschen klar, hat einen riesen Freundeskreis und es ist echt schwer, sich mit Fabi so richtig zu streiten. Wenn du dir unseren Podcast anhörst, wirst du keine einzige Stelle finden, an der Fabi mir in irgendeiner Weise widerspricht, mich korrigiert oder offen sagt, dass ihr irgendetwas nicht gefällt oder dass sie etwas ganz anders sieht.
Das heißt allerdings nicht, dass sie nie anderer Meinung ist als ich oder manchmal eine andere Perspektive hat. Sie verpackt es im Gespräch allerdings ganz anders. Auch wenn Fabi eine andere Meinung hat als ich, beginnt sie ihre Reaktion zumindest mit einer Kleinigkeit, in der sie übereinstimmt, in der sie mich bestätigt, in der sie meine Meinung validiert. Die Antwort von hoch verträglichen Menschen wie Fabi ist oft kein „Nein, aber“, sondern ein „Ja genau, und“.
Hoch verträgliche Menschen widersprechen nicht – sie erweitern. Und das macht Gespräche mit ihnen so unglaublich angenehm. Und das führt in Beziehungen auch dazu, dass Menschen sich bestätigt fühlen, gesehen fühlen, verstanden fühlen. Und ja, die meisten Menschen mögen das.
Dieses Gesprächsmuster versuche ich mir seit Jahren anzugewöhnen und auch wenn mir mein altes Widerspruchs-Muster doch immer mal wieder herausrutscht, stelle ich fest, dass je besser mir das gelingt – desto leichter komme ich mit Menschen in Kontakt, desto lieber verbringen Menschen Zeit mit mir und desto harmonischer, liebevoller und wertschätzender werden meine Beziehungen.
Ein Gedanke, der mir in dieser Sache auch sehr geholfen hat war folgender: Wenn du so ein kritischer, hinterfragender, skeptischer Geist bist wie ich es damals war – und manchmal immernoch bin: Hast du schonmal hinterfragt, ob deine Skepsis, deine kritische Haltung, deine Neigung zum Widerspruch – ob dir das eigentlich wirklich so guttut? Oder anders gefragt: Hast du deine Kritik schon einmal gegen sich selbst gerichtet?
Wie lernt man emotionale Stabilität?
Wenn du dagegen für Emotionale Stabilität ein gutes Role Model suchst – in aller Bescheidenheit: ich glaube, da kann ich ein ziemlich gutes Vorbild für dich sein. Ich war schon immer jemand, der ziemlich resilient, ziemlich stress-resistent, ziemlich geerdet und gefestigt war. Und ich bekomme auch immer wieder die Rückmeldung, dass ich eine große Sicherheit ausstrahle – eine große Gelassenheit und Ruhe. Ich bekomme oft zu hören, dass Menschen meinen lösungsorientierten Fokus meine Erdung schätzen. Interessanterweise hab ich den Eindruck, dass das gerade Menschen fasziniert, die das vielleicht noch nicht ganz so gut können wie ich.
Und ja, auch das hat nicht immer nur Vorteile. Neurotische Menschen sind oft wesentlich expressiver, emotional packender, können bewegendere Geschichten erzählen und ziehen andere oft mehr in ihren Bann. Gerade unter Schauspielern, Künstlern und Musikern findest du normalerweise Menschen, die sich mit emotionaler Regulation manchmal etwas schwerer tun – leider halt aber zu dem Preis, dass sie in privaten Beziehungen oft größere Schwierigkeiten haben.
Bei mir ist es allerdings immer schon so gewesen, dass selbst in den größten Krisensituationen meines Lebens, in heftigsten Konflikten, nach Trennungen von Partnerinnen oder nach dem Tod von geliebten Menschen – ich kann mich an kaum eine Situation in meinem Leben erinnern, die mich so wirklich komplett aus der Bahn geworfen haben.
Das heißt nicht, dass ich nie traurig, frustriert oder gestresst bin, oder dass ich nicht auch mal Angst habe. Aber verglichen mit so dem Durchschnitt der Menschen, die ich so kenne, habe ich den Eindruck, dass es mir oft sehr viel schneller gelingt, mich selbst am Schopf zu packen, mich aus einer emotionalen Krise wieder herauszuholen und mich wieder auf die Schönheiten, das Wunderbare, das Positive am Leben zu fokussieren.
Ein persönliches Beispiel
Ich bring dir mal ein vielleicht sehr persönliches Beispiel: Vor ungefähr 2 Wochen habe ich erfahren, dass bei meinem Vater Krebs diagnostiziert wurde. Und zwar eine, die sein Leben sehr akut bedroht und für die die Heilungsprognose nicht besonders positiv ist.
Für die meisten Menschen, die ich kenne, und auch für die meisten Menschen in meiner Familie, ist das eine Botschaft, die sie emotional erst einmal komplett aus der Bahn wirft. Und ja, natürlich macht auch mir das Angst. Natürlich finde auch ich das ungerecht. Natürlich macht mich das auch ein Stück weit hilflos. Aber ich bin mir auch dessen bewusst, dass niemand die Zukunft mit Sicherheit voraussehen kann. Und dass – auch wenn die Statistik dagegen spricht – keine Statistik der Welt kann die Zukunft für jeden Einzelfall voraussagen.
Vielleicht ist er die Ausnahme. Vielleicht aber auch nicht. Und falls doch der schlimmste Fall eintritt, und er diesen Krebs doch nicht überlebt – wer bin ich, das verhindern zu wollen? Wer bin ich zu sagen, dass das nicht ok ist? Wenn das Leben entscheidet, dass seine Zeit auf dieser Welt zu Ende ist – dann schadet mein Widerstand dagegen nur mir selbst, er schadet ihm und er schadet unserer Beziehung. Viel lieber will ich die Zeit, die uns noch bleibt so intensiv nutzen wie es nur geht.
Auf gewisse Weise macht mich diese Diagnose zutiefst dankbar. Dankbar für all das, was meine Eltern mir in meiner Kindheit mit auf den Weg gegeben haben. Dankbar dafür, dass ich eine wirklich gute, wirklich harmonische und liebevolle Beziehung zu meinen Eltern habe.
Dankbar dafür, dass wir einen so guten Kontakt zueinander haben und dass ich eine Familie habe, auf die ich mich im Zweifelsfall immer verlassen konnte und kann. Dankbar für all die positiven Aspekte von gesunder Männlichkeit, die mein Vater mir vorgelebt hat: Was es bedeutet, Ziele im Leben zu haben, anderen Menschen Raum zu geben, sich für sie ernsthaft zu interessieren und sie zu unterstützen ohne etwas zurück zu verlangen. Was es bedeutet, sich durchzusetzen ohne übergriffig zu sein. Eine Meinung zu haben und andere Meinungen zu akzeptieren. Raum zu füllen ohne anderen den Raum wegzunehmen. Ich hab so viel von meinem Papa gelernt. Und dafür bin ich so unendlich dankbar.
Und diese Diagnose erinnert mich daran, wie wertvoll, wie begrenzt und wie knapp die Zeit ist, die wir mit lieben Menschen verbringen können. Und wie albern und wie unbedeutend oft das Drama ist, das uns guten und glücklichen Beziehungen trennt. Und wie viel wertvolle Zeit wir damit zu verplämpern uns einzureden „or der ist doof“, „der war gemein zu mir“, „der hat mich gar nicht lieb“, „der müsste irgendwie anders sein“.
Wie man Emotionen reguliert
Wenn du diesem Podcast zuhörst, wirst du viele Strategien von mir mitbekommen, wie man negative Emotionen auflösen, überwinden, umfokussieren und verändern kann. Vor allem in den ersten 4 Folgen, in denen es um die Grundannahmen im NLP ging, findest du viele Beispiele dafür.
Wenn ich es aufs Brutalste auf einen Punkt reduzieren müsste, bedeutet emotionale Regulation vor allem die Fähigkeit, sich dissoziieren zu können. Seine Gedanken, seine Gefühle, sein emotionales Erleben erst einmal neutral oder vielleicht sogar etwas neugierig zu betrachten, zu beobachten und zu begreifen.
Ich beobachte bei weniger emotional stabilen Menschen oft eine gewisse Tendenz, dass sie extrem assoziiert sind. Dass sie in Gefühlen und Gedanken gewissermaßen „drin sind“, dass sie damit „verwoben“, „verwachsen“, „verstrickt“ sind. Dass sie sich überidentifizieren mit ihren negativen Emotionen und dann natürlich auch darin steckenbleiben.
Emotionale Stabilität bedeutet nicht, dass du keine negativen Emotionen empfindest. Es bedeutet auch nicht, dass du negative Emotionen unterdrücken oder verdrängen solltest. Es geht nicht um eine rosarote, blauäugige „alles ist gut“- positive Psychologie. Vielmehr geht es darum, sich selbst nicht zu verwechseln mit den negativen Emotionen. Oder wie Gunter Schmidt, einer meiner Hypnose-Lehrer, mal gesagt hat: „Nicht ich habe Angst, sondern eine Seite von mir hat Angst.“
Starken Emotionen liegt normalerweise eine starke Geschichte, zugrunde, von der wir felsenfest überzeugt sind. Und der ganze Zauber von emotionaler Regulation und emotionaler Stabilität, liegt darin, diese Geschichte nicht fürwahr und all zu ernst zu nehmen. Und sich weniger mit der Wahrheit dieser Geschichte, als viel mehr mit dem emotionalen Effekt zu beschäftigen, den sie hat.
Wenn du wütend, ängstlich, überfordert, hilflos, eifersüchtig, frustriert bist oder dich ungeliebt, wertlos, getrennt, gedemütigt oder abgelehnt fühlst, frage dich: Welche Geschichte erzähle ich mir gerade, die diese Emotion auslöst?
Wie erkläre ich mir die Herkunft dieses Gefühls? Was halte ich für die Ursache? Was glaube ich eigentlich, wie ich selbst bin? Was sagt das über mich aus? Was glaube ich das andere über mich denken? Was unterstelle ich anderen für Charakterzüge? Absichten? Motive? Was glaube ich, wie sich eine Situation in Zukunft entwickeln wird? Und – ist das alles wirklich wahr? Oder könnte es vielleicht in Wahrheit auch ganz anders sein?
Was würde ... tun?
Und ja, es ist verdammt schwer, aus seinem eigenen Drama heraus zu kommen. Aber versteh mich nicht falsch… Ich verlange ja auch gar nicht, dass du das komplett alleine tust. Manchmal ist dafür der Spiegel von einem guten Freund, einem Coach oder einem Menschen, der vielleicht emotional stabiler ist als du sehr hilfreich. Andere Menschen sehen die Welt ja glückerweise ganz oft ganz anders und haben eine bessere, hilfreichere Perspektive auf vermeintlich schmerzhafte Situationen.
Und anfangs ist es vielleicht leichter, sich jemandem zu öffnen, eine Situation zu beschreiben und ihn zu fragen, wie er damit umgehen würde. Später, wenn du damit ein bisschen Übung hast, reicht es vielleicht sogar, das in der Vorstellung zu tun. Also dich einfach nur zu fragen: Wie würde Barack Obama, Dwayne „the Rock“ Johnston, Bill Gates oder ein Bekannter von dir, den du für emotional stabil hältst, mit dieser Situation umgehen?
Und je öfter du das übst, und je mehr Zeit du mit emotional stabilen Menschen verbringst, desto leichter wird es dir fallen, diesem Drama-Bullshit auf die Schliche zu kommen. Und die Menschen, mit denen du dich umgibst, werden dir das langfristig sehr danken. Zumindest die meisten.
Falls es stimmt, was die wissenschaftliche Fachliteratur sagt, dann sind es vor allem verträgliche und emotional stabile Menschen, die mit vielen Menschen gut klarkommen, die beliebt sind und denen es leichtfällt, langfristige und glückliche Beziehungen zu führen. Und wenn das etwas ist, was du dir auch für dein Leben wünscht, würde ich dir sehr empfehlen, bewusst und gezielt die Nähe dieser Menschen zu suchen. Denn vielleicht hast du auch schon einmal gehört, dass wir der Durchschnitt der 5 Menschen sind, mit denen wir die meiste Zeit verbringen. Je mehr Zeit du mit einem Menschen verbringst, desto ähnlicher wirst du ihm werden.
Muss ich mir jetzt neue Freunde suchen?
Die Sache hat allerdings einen entscheidenden Haken: Mal angenommen, du stellst jetzt fest, dass du weniger verträglich bist. Also natürlich bist du nicht unverträglich und natürlich stimmt das mit der Litaratur ja auch überhaupt nicht, und also da muss man sich ja die Quellen erstmal genauer angucken und schauen, ob das überhaupt alles evident ist und ob das methodisch überhaupt sauer gemacht wurde und ob es da nicht vielleicht Literatur gibt, die da was anderes sagt – und überhaupt… Das kann man ja alles nicht so doll verallgemeinern.
Aber nein, mal ehrlich. Mal angenommen, du entdeckst in dir einen gewissen Impuls zu diskutieren, zu rebellieren, zu widersprechen und erstmal dagegen zu sein… Und du siehst auch ein, dass ein bisschen Verträglichkeit dir und deinen Beziehungen guttun würde… Dann wird es für verträgliche Menschen immer noch vermutlich erst einmal anstrengend sein, Zeit mit dir zu verbringen. Zumindest anstrengender als mit anderen verträglichen Menschen. Nur weil du Zeit mit ihnen verbringen willst, müssen die das nicht auch gleich wollen.
Und wenn du feststellst, dass du dich vielleicht doch etwas öfter in den emotionalen Untiefen des Lebens verirrst. Du dir eingestehen musst, dass du einen etwas größeren Hang zu Drama und Katastrophenszenarien hast als andere Menschen und dir vielleicht eingestehst: Jep, ein bisschen bessere emotionale Regulation wäre für mich und meine Beziehungen vielleicht nicht schlecht… Dann wird es für emotional stabile Menschen immer noch ein bisschen anstrengender sein, Zeit mit DIR zu verbringen als mit anderen emotional stabilen Menschen.
Aber niemand sagt, dass du Zeit mit solchen Menschen PERSÖNLICH verbringen musst. Niemand sagt, dass du deinen ganzen Freundeskreis und dein ganzes soziales Umfeld auf den Kopf stellen sollst und fortan nur noch Zeit mit denen verbringen, die dir und deinen Beziehungen guttun.
Wähle deine konsumierten Inhalte bewusst
Es funktioniert fast genauso gut, wenn du dich mit Inhalten dieser Menschen auseinandersetzt. Ob du nun Podcasts hörst, Youtube-Videos, Interviews oder Bücher und Biographien von hochverträglichen oder hoch emotional stabilen Menschen liest – auch damit umgibst du dich ja gewissermaßen mit ihrem Mindset…
Auch damit wirst du mit Sätzen und Aussagen konfrontiert, bei denen du vermutlich erst einmal komplett aus der Kurve fliegst. Und du wirst Verhaltensweise bei ihnen beobachten, die dir zunächst mal etwas fremd vorkommen. Aber mit der Zeit wirst du ihnen ähnlicher. Mit der Zeit, wird das irgendwie normaler für dich… Lass mich dir deswegen nochmal ein paar Beispiele für Prominente geben, die sich als Modelle für Verträglichkeit oder emotionale Stabilität vielleicht lohnen könnten:
Lohnenswerte Modelle
Bei Verträglichkeit denke ich an so Menschen wie Keanu Reeves, Tom Hanks, Ed Sheeran, Robin Williams oder Paul McCartney. Alles sehr freundliche, zuvorkommende, und empathische Menschen, die ihren Gesprächspartnern normalerweise sehr viel Wohlwollen und Bestätigung entgegenbringen.
Bei hoher emotionaler Stabilität denke ich an so Leute wie Morgan Freeman, Angela Merkel, Anthony Hopkins, David Beckham, Günter Jauch oder Daniel Craig. Alles sehr kühle, reservierte, rationale Typen, die sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lassen.
Wenn du dich mit solchen Menschen beschäftigen willst, hast du wahrscheinlich am meisten davon, wenn du Interviews, Podcasts oder Biographien, die diese Menschen geschrieben haben, liest. Je mehr direkte Rede von ihnen drin ist, und je mehr sie über ihr Leben sprechen, desto besser. Filme mit diesen Menschen und Reportagen über sie geht auch. Wobei da oft ein bisschen mehr noch das Bild des Regisseurs mitschwingt und dein Eindruck verfälschen kann.
Aber besonders, wenn du an diese Menschen mit so einer neugierigen „wie ticken die eigentlich“ – „wie machen die das eigentlich“-Haltung herangehst. Dann kannst du vermutlich viel von ihnen lernen. Ich würde dir sehr empfehlen, genau hin zu hören, wenn solche Menschen darüber sprechen, wie sie sich selbst sehen, wie sie andere Menschen wahrnehmen, Was sie so für Werte, für Glaubenssätze und Überzeugungen haben.
Das sind nämlich genau die Dinge, die mit der Zeit immer mehr auf dich abfärben werden. Denn oftmals glauben wir eine Sache gar nichtmal weil sie wirklich wahr ist, sondern einfach weil wir sie oft genug hören. Und das funktioniert leider mit den hilfreichen Glaubenssystemen genauso wie mit den weniger hilfreichen.
Dir sollte allerdings klar sein, dass an so essentiellen Persönlichkeitseigenschaften zu arbeiten kein Sprint, sondern eher ein Marathon ist. Die Big Five gelten nicht umsonst als die 5 unveränderlichsten Persönlichkeitseigenschaften von Menschen. Nur weil du die Biographie von Obama gelesen hast, wirst du also nicht gleich zum Beziehungs-King. Aber es ist vielleicht ein Anfang. Der Anfang von einem vielleicht monate- oder jahrelanger „steter Tropfen höhlt den Stein“-Prozess. Aber eben ein Prozess, der sich langfristig auszahlen wird und der deine Beziehungen vermutlich sehr zum Positiven verändern wird. Mehr jedenfalls als immer wieder in dieselben Beziehungsmuster mit denselben Menschentypen zu rutschen.
Veränderung ist ein Marathon, aber du bist schon auf dem Weg
Ich will dich nicht entmutigen. Ich glaube, dass wenn du diesen Podcast bis hierhin gehört hast, bist du vermutlich mindestens durchschnittlich verträglich und durchschnittlich emotional stabil – oder hast in deinem Leben schon einige gesunde Kompensationsmechanismen in deinem Leben entwickelt.
Extrem unverträgliche Menschen hätten vermutlich längst abgeschaltet, weil sie schon gar nicht geglaubt hätten, dass das irgendwie wichtig ist. Und extrem neurotische Menschen wären vermutlich auch längst so getriggert, dass sie längst den Podcast beendet hätten. Verträglichkeit und emotionale Regulation sind auch kein Schwarz-Weiß. Es gibt nicht nur verträgliche und unverträgliche, emotional stabile und neurotische Menschen. Es ist vielmehr ein Spektrum. Ein Spektrum, auf dem jeder Schritt in Richtung Verträglichkeit und in Richtung emotionale Stabilität die Wahrscheinlichkeit für eine gute, glückliche, erfüllte und liebevolle Beziehung ein kleines bisschen mehr erhöht. Und wenn es so gelaufen ist wie ich mir das wünsche, hat allein schon das Hören dieses Podcasts die einen kleinen Impuls in die richtige Richtung gegeben.
Ich will damit auch nicht sagen, dass du – wenn du nicht krass verträglich bist oder ein bisschen neurotischer bist als andere Menschen, keine Chance hast einen Partner oder eine Partnerin für eine glückliche Beziehung zu finden. Es kann nur sein, dass du dann ein bisschen länger suchen musst und ein bisschen genauer hinschauen darfst, dass du einen Menschen findest, der wirklich zu dir passt, und mit dem Beziehung trotzdem leicht, angenehm und für euch beide sinnvoll ist.
Wie man das genau macht, und woran man eigentlich erkennt, ob ein Mensch kompatibel ist oder nicht – unabhängig von der eigenen Persönlichkeit… Das würde jetzt aber ein bisschen den Rahmen sprengen. Nein, das heben wir uns auf für die nächste Podcast-Folge. Und ich hoffe, du freust dich schon genauso sehr darauf wie ich.
Bis dahin findest du sicher genügend Material von sinnvollen Vorbildern für Verträglichkeit und emotionaler Stabilität in Büchern, Filmen und im Internet. Und wer weiß, vielleicht hörst du jetzt eine frühere Podcast-Folge von mir jetzt auch mit ganz anderen Ohren. Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß beim Modellieren.
Bis dahin…Tschüss.
Quellen:
Donnellan, M. B., Conger, R. D., & Bryant, C. M. (2004). The Big Five and enduring marriages. Journal of Research in Personality.
Weidman, R., Ledermann, T., & Grob, A. (2017). Big Five traits and relationship satisfaction: The mediating role of self-esteem. Journal of Research in Personality
Kelly, E. L., & Conley, J. J. (1987). Personality and compatibility: A prospective analysis of marital stability and marital satisfaction. Journal of Personality and Social Psychology.
Barelds, D. P. H. (2005). Self and partner personality in intimate relationships. European Journal of Personality.



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